Trauerfeier 04.03.
Die Live-Übertragung des Hessischen Rundfunks und die einzelnen Redebeiträge können Sie sich hier ansehen:

Trauerrede Oberbürgermeister Claus Kaminsky
(Es gilt das gesprochene Wort)
Sehr geehrte Familien und Angehörige der Opfer, verehrte Betroffene des fürchterlichen Anschlags auf unsere Stadt, auf unsere Gesellschaft – und auf uns alle…
Ich darf auch im Namen des Hessischen Ministerpräsidenten - sehr geehrter Herr Bouffier, liebe Frau Bouffier – als besondere Gäste begrüßen:
Herrn Bundespräsidenten Steinmeier,
Frau Büdenbender,
Herrn Bundesratspräsidenten Woidke,
Frau Bundeskanzlerin Merkel,
Herrn Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts Harbarth,
Herrn Bundespräsidenten a.D. Wulff ,
Herrn Präsidenten des Hessischen Landtages Rhein,
Frau Stadtverordnetenvorsteherin der Stadt Hanau Funck,
Den Ehrenbürger unserer Stadt, Rudi Völler,
Die Damen und Herren Bundesminister, Staatsminister, Staatsekretäre sowie Mitglieder des Magistrats und der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Hanau
Frau Ministerin Turkovic (Außenministerin von Bosnien-Herzegowina)
die Damen und Herren Exzellenzen, Botschafter und Generalkonsule
sowie die Repräsentanten der Kirchen und Religionsgemeinschaften
und aus allen anderen Bereichen unserer Gesellschaft.
Wir danken Ihnen ausdrücklich für Ihr Kommen, Ihre Anteilnahme und Ihr Mitgefühl.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Liebe Angehörige,
in diesem Saal, in den Straßen der Stadt, auf dem Freiheitsplatz und auf dem Markplatz haben sich in dieser Stunde Tausende versammelt, um gemeinsam mit Ihnen das Leid und den Schmerz zu teilen, den die grausame Tat des 19. Februar über Sie und Ihre Familien gebracht hat.
Wir trauern mit Ihnen um
Gökhan,
Sedat,
Said Nesar
Mercedes
Hamza Kenan
Vili-Viorel
Fatih
Ferhat und
Kaloyan
Wir denken auch an die Mutter des Attentäters, die ebenso zu den Opfern zählt.
Meine Damen und Herren, Ihrer aller Anwesenheit macht deutlich, dass nicht nur die Stadt Hanau, sondern auch das ganze Land und die ganze Republik fest an Ihrer Seite stehen.
Wir können Ihren Schmerz sicher nur annährend nachempfinden. Wir können Ihr Leid kaum lindern. Wir können nur versuchen, Ihnen Trost zu spenden.
Und wir wollen Ihnen deutlich zeigen, dass Sie in dieser kaum erträglichen Situation nicht alleinstehen.
Sie haben Ihre Liebsten verloren. Auf eine Weise, die uns nicht nur erschüttert, sondern Sie und uns ein gutes Stück ratlos zurücklässt mit so vielen Fragen.
Woher kommt dieser Hass?
Wieso mussten ausgerechnet diese Menschen sterben?
Wieso ausgerechnet in den Straßen dieser Stadt?
Die Opfer wurden wegen ihres vermeintlichen „Andersseins“, weil sie in den Augen des Mörders Fremde waren, gezielt und jeder einzelne doch zufällig getötet.
Diese Opfer waren keine Fremden!
Die Opfer waren Mitbürgerinnen und Mitbürger unserer Stadt, unserer Region, unseres Landes.
Wir Hanauerinnen und Hanauer werden in wenigen Tagen an den Morgen des 19. März 1945 erinnern.
Wie in jedem Jahr werden die Glocken unserer Kirchen um 4.20 Uhr Sturm läuten und damit an den Untergang Hanaus im Bombenhagel erinnern. In dieser Nacht kehrte der totale Krieg, der von Deutschland und leider auch von dieser Stadt ausgegangen ist, nach Hanau zurück.
Ich bin mir bewusst, dass jeder historische Bezug auch seine Schwächen hat, aber:
Wir Hanauerinnen und Hanauer wissen sehr wohl, wohin Rechtsextremismus, Hass und Rassismus führen: zu Gewalt, zu Tod und unendlichem Leid! Es ist für mich unerheblich, ob der Täter ein einzelner irrer Rassist oder ein rassistischer irrer Einzelner war. Entscheidend ist für mich, dass der geistige Nährboden des Hasses auf jeden Fall viele, zu viele Gewalttaten in unserem Land hervorbringt. Und deshalb, sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, haben Sie recht: „Rassismus und Hass ist ein Gift“ – und dieses Gift schleicht sich stetig mehr in unser Leben.Diesem Gift müssen wir täglich, ganz persönlich und konkret entgegentreten – wir alle, jeder von uns. Diese Stadt, unsere Stadt, meine Geburtsstadt, war bisher verbunden mit den Brüdern Grimm, ihren Märchen, dem Deutschen Wörterbuch, mit den Bildern eines Moritz Daniel Oppenheim, der Musik eines Paul Hindemith. Die Geschichte dieser Stadt ist verbunden mit vielen mutigen Menschen. August Schärttner, dem Hanauer Turner und seinen Revolutionären von 1848 den Kämpfern für Freiheit und Demokratie. Mit Elisabeth Schmitz – der Gerechten unter den Völkern, die sich dem rechten Terror der Nazis entgegengestellt hat. Mit Mustafa Alptug Sözen, der am 13. November 2018 auf den Gleisen der S-Bahn sein Leben opferte, um das Leben eines anderen zu retten. Mit all diesen Namen ist Hanau verbunden. Künftig wird diese Stadt aber auch verbunden sein mit den rassistischen Mordtaten des 19. Februar. Das tut unendlich weh. Auch wenn dieser Schmerz nicht zu vergleichen ist mit dem Leid der Opfer und dem Schmerz der Angehörigen. Unser Schmerz wurde gelindert durch die Welle des Mitgefühls und der Solidarität, die wir weltweit erfahren haben.
Dafür sagt Hanau, dafür sagen die Hanauerinnen und Hanauer aus ganzem Herzen Dank.
Ich weiß aus vielen Gesprächen, dass dies auch von den trauernden Angehörigen so empfunden wurde.
Und wir sagen Dank den vielen, die seit dieser schrecklichen Nacht in unermüdlichem Einsatz waren.
Der Polizei, der Feuerwehr, den Ärzten und Sanitätern, unseren 8 Helden der Herzen des Ausländerbeirates, den vielen freiwilligen Helfern, die für die Angehörigen da waren, den vielen Mitarbeitern der Stadt, des Landes und des Bundes und unzähligen Ehrenamtlichen in Vereinen und Organisationen. Sie alle haben ein Zeichen für ein solidarisches Miteinander, ein Miteinander der Nächstenliebe gesetzt.Für Sie als Angehörige kann diese Welle der Hilfe und des Mitgefühls natürlich nur ein kleiner Trost sein. Niemand kann Ihnen die Liebsten zurückgeben, niemand Ihren Schmerz wirklich heilen.
Aber diese Solidarität bestärkt uns in der Verpflichtung weiter zu leben.
Viele fragen sich aber auch, wie Hanau mit diesem Ereignis weiterleben kann. Diese Stadt kann nicht, sie muss und sie wird weiterleben. Hanau hat in seiner Geschichte bewiesen, dass es auch schwierige Situationen meistern kann. Hanau ist stark, weil es zusammensteht. Dass haben gerade auch die letzten schmerzhaften Tage eindrucksvoll bewiesen. Unsere Stadt hat seit Jahrhunderten eine große, gute Tradition im Zusammenleben der unterschiedlichsten Menschen. Sie alle, die Glaubensflüchtlinge vor 400 Jahren, die Vertriebenen nach dem 2. Weltkrieg, die Gastarbeiter von einst, die amerikanischen Soldaten mit ihren Familien, nicht zuletzt die Bürgerkriegsflüchtlinge der letzten Jahren – Sie alle haben diese Stadt mitgeprägt, sie alle gehören zu dieser Stadt, sie alle sind Hanauer, Mitbürgerinnen und Mitbürgern.
Hanau ist vielfältig. Wir glauben unterschiedlich, wir leben unterschiedlich, wir sprechen unterschiedlich, aber uns eint der Respekt vor den Mitmenschen, die Nächstenliebe, die Toleranz und die unerschütterliche Freude am Leben.Und deshalb sagen wir allen Rassisten, die mit ihren Parolen unser Land vergiften:
Wir sind mehr! Und wir sind stärker als euer Hass!
Einer der Angehörigen hat in einem Fernsehbeitrag gesagt, er wünsche sich, dass in zehn Jahren nicht mehr der Name des Täters in Erinnerung ist, sondern die Namen der Opfer.
Als Oberbürgermeister dieser Stadt verspreche ich Ihnen, dass diese Namen fortan unauslöschbar zum kollektiven Gedächtnis unserer Stadt gehören. Ich verspreche Ihnen, dass wir für die Toten des 19. Februar eine Gedenkstätte errichten werden. Damit deren Namen, damit deren Leiden, damit Ihr Leiden, liebe Angehörigen, niemals vergessen wird. Ihnen allen werden wir posthum die goldene Ehrenplakette der Stadt Hanau verleihen. Denn sie starben für alle, die eine freie, offene und vielfältige Gesellschaft wollen.
Aber es ist noch mehr zu tun in Hanau, in Hessen, in der Bundesrepublik.
Viele Mitbürgerinnen und Mitbürger haben mir in den letzten Tagen von ihrer Angst, ihrer Furcht berichtet. Dies hat mich - dies sollte uns alle – ins Mark treffen. Das Recht auf ein angst- und furchtfreies Leben gehört für mich zu den Garantien und Versprechen unseres Grundgesetzes.
Deshalb muss die wehrhafte Demokratie endlich ihr wehrhaftes Antlitz zeigen und sich wehren. Konkret und erfahrbar.
Liebe Angehörige,
die schreckliche Mordnacht hat schmerzhafte Lücken in ihre Familien gerissen. Wir können diese Lücken nicht schließen. Aber ich verspreche Ihnen, dass Ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger an Ihrer Seite stehen.
Diese Stunde soll Ihnen zeigen: Sie sind nicht allein und Hanau wird Sie niemals allein lassen!
Ich darf nun Kemal Kocak auf die Bühne bitten, der die Opfer kannte und zu der Mehrzahl ein freundschaftlich bis brüderliches Verhältnis hatte.

Trauerrede von Kemal Kocak
(Es gilt das gesprochene Wort)
Sehr geehrte Damen und Herren,
mein Name ist Kemal Kocak und ich bin am 04.08.1974 in der Stadt Hanau geboren. Ich habe in Hanau die Schule besucht und mit einem Realabschluss beendet.
Heute bin ich verheiratet und habe vier Kinder und bin schon seit meinem 19 Lebensjahr selbständiger Gastwirt in dieser Stadt Hanau. Dazu kommen noch über 15 Jahre erfolgreicher Fußballtrainer in der Region Hanau. Ich habe hier Familie, deutsche Freunde, ausländische Freunde und viele Bekannte in dieser wunderschönen Stadt.
Deshalb bin ich mehr als schockiert was in der Nacht am Mittwoch den 19.02.2020 passiert ist und einer der Tatorte im Stadtteil Kesselstadt war der Laden meines eigenen Sohnes, den ich persönlich seit 1 ½ in diesem Laden unterstütze. Dieser Kiosk war ein Anlaufpunkt für viele Menschen und auch für lebensfrohe Jugendliche. Wir haben ein Familienmitglied verloren, wir haben Freunde verloren, wir haben Bekannte verloren, wir haben treue Kunden verloren, wir haben Mitmenschen verloren und die Stadt Hanau hat Mitbürger und liebevolle Menschen verloren. Zu diesen Menschen, die in dieser Nacht ihr junges Leben verloren haben sind folgende Personen:
Mercedes Kierpacz:
Eine junge Frau, die versucht hat mit zwei Kinder das Leben zu meistern. Sie hat immer ihre Meinung gesagt und hatte trotzdem ein großes Herz.
Ferhat Unvar:
Ein junger selbstbewusster Mann, der klare Vorstellung vom Leben hatte und ein weiches Herz besitzt. Er sagte immer zu mir: „großer Bruder Kemal , wir stehen immer zusammen egal was passiert. Heute bist du nicht mehr da.
Said Nesar Hashemi:
Ich werde sein Lächeln und seinen respektvollen Umgang mit allen Menschen niemals vergessen. Seine Bestellung war immer drei Mal Capri Sonne und eine Naschtüte. Er hat einen Platz in meinem Herzen.
Hamza Kurtovic:
Er hatte immer ein Lächeln auf dem Gesicht und er hat gerne geteilt. Er hat seinen Freunden immer Getränke und Süssigkeiten gekauft. Er war ein menschlicher Engel.
Gökhan Gültekin:
Wir nannten ihn alle nur liebevoll „GoGo“ und ich könnte so viel über ihn erzählen. Die Zeit hier würde niemals reichen. Jedes Treffen und jedes Telefonat hat er mit den Worten: „Möge Gott dich schützen.“ beendet. Er hatte die tiefe Erkenntnis, dass das Schicksal kommt wie es kommt. Du fehlst mir so sehr und ich werde dich niemals vergessen.
Kaloyan Velkov:
Ein äußerst sympathischer Mensch, der immer und überall gegrüßt hat und ich bin oft begegnet. Du lässt eine Lücke unter den Menschen.
Sedat Gürbüz
Und von ihm erzählt man, dass er ein absolut hilfsbereiter Mensch und anständiger junger Mann war. Wir werden dich auch vermissen.
Vili Viorel Paun
Wir haben ihn als einen netten und freundlichen Kunden kennengelernt. Jedes Treffen im Kiosk war von Respekt und Höflichkeit geprägt.
Fatih Saracoglu
Die liebsten und engsten Menschen, erzählen von einem freundlichen, anständigen und höflichen Mitmenschen.
Wir werden euch wirklich alles vermissen und ihr alle hinterlasst eine große Lücke im Leben von Hanau
Liebe Gäste, und sehr geehrte Damen und Herren,
der Mensch vergisst schnell, aber diese jungen Menschen und alle Opfer dürfen wir nicht vergessen. Wir müssen zusammenstehen und gegen Rassismus, Hass und Gewalt in diesen Tagen und auch in der Zukunft aufstehen und die Stimme erhöhen. Wir möchten alle ohne Angst, Sorge und Kummer in dieser Stadt Hanau leben. Jeder steht in der Verantwortung, die Politik, der Bund, das Land Hessen, die Stadt Hanau und jeder einzelne Mitbewohner. Das sind wir den jungen Opfern und ihren Familien schuldig und auch eine lückenlose Aufklärung dieser schrecklichen Tat gehört dazu.
So etwas darf nicht mehr passieren und gegen rassistisches Gedankengut muss man entschieden vorgehen.
Wir alle hier in dieser Stadt sind Menschen und gehören zu dieser Welt, zu Europa, zu Deutschland, zu Hessen und zu HANAU. Lass sie uns bitte gemeinsam gegen Hetze und Hass vorgehen, denn die Menschen haben seit dem 19.02. Angst und Sorge. Keiner möchte durch so ein schreckliches Attentat seine Liebsten verlieren. Jede Religion, ob Christentum, Judentum oder der Islam vermitteln die Barmherzigkeit und die Nächstenliebe zwischen allen Menschen.
Lassen wir bitte bitte bitte alle gemeinsam den vielen Worten, jetzt endlich Taten folgen.
Erinnern wir uns was an diesem Mittwoch 19.02. zwischen 21:30 und 22:00 Uhr passiert ist.
Wir können es alle gemeinsam schaffen….!
Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit.
Kemal Kocak

Trauerrede von Ajla Kurtovic
(Es gilt das gesprochene Wort)
Liebe Trauernde,
zunächst möchte ich mich bedanken, dass Sie alle heute hier erschienen sind, um gemeinsam um die Ermordeten Fathi, Ferhat, Gökhan, Hamza, Kaloyan, Mercedes, Said Nessar, Sedat und Vili zu trauern und ihrer zu gedenken. Ebenfalls möchte ich mich bei der Stadt Hanau für die große Anteilnahme und Hilfe bedanken. Ich wurde gefragt, ob ich Hass spüre. Nein, ich empfinde keinen Hass.
Ich möchte an dieser Stelle deutlich machen, dass Hass den Täter zu seiner rassistischen Tat getrieben hat. Damit liegen Hass und Rassismus sehr nah beieinander. Ich will, dass wir alle uns von Hass abgrenzen.
Deutschland ist unsere Heimat. Das Land des sozialen Wohlstands und der Gleichberechtigung, miteinander und füreinander und nicht nebeneinander und gegeneinander.
Mein Bruder Hamza wurde völlig unerwartet aus der Mitte unserer Familie gerissen. Zurückgeblieben ist grenzenloser Schmerz, eine unfassbare Leere und Fassungslosigkeit.
Der Schmerz ist grenzenlos, aufgrund des Verlustes meines geliebten Bruders. Es bleibt eine unfassbare Leere, weil mein Bruder das Leben meiner ganzen Familie mit Freude, Herzlichkeit und Liebe erfüllt hat. Mein Bruder hat uns immer zum Lachen gebracht, war hilfsbereit und einfühlsam. Wenn er helfen konnte, hat er ohne Erwartung einer Gegenleistung geholfen. Ihm war wichtig, dass es uns, seinen Liebsten, gut geht. Aber auch Menschen, die er nicht kannte, waren ihm wichtig. So hat er sein erstes Azubigehalt für Menschen in Not gespendet. Mein Bruder war stets gut gelaunt und hat uns auch in schweren Stunden mit seiner Heiterkeit geholfen.
Fassungslos bin ich darüber, dass mein Bruder aufgrund dieses schrecklichen Verbrechens nie wieder lachend und fröhlich zu unserer Haustür hereinkommen wird. Fassungslosigkeit herrscht darüber, dass nach so einer schrecklichen Tat, Hass und Rassismus in unserer Gesellschaft und im Netz nicht aufgehört haben.
Ich möchte hier keine einzelnen Beispiele nennen, um dem Hass keine Plattform zu geben. Deswegen habe ich eine Bitte an Sie alle:
Sorgen Sie, sehr geehrte Politiker, dafür, dass die Umstände dieses schrecklichen Verbrechens restlos aufgeklärt und die entsprechenden Lehren daraus gezogen werden, damit sich so eine schreckliche Tat nicht wiederholen kann. Helfen Sie, liebe Trauernde, dass wir den Hass und das Gift namens Rassismus, so wie Sie es genannt haben, Frau Bundeskanzlerin, aus unserer Gesellschaft restlos verbannen und wir alle, auch wenn wir verschiedenen Glaubensrichtungen angehören, friedlich und glücklich in unserem Land gemeinsam leben können. Dies sind wir den Ermordeten schuldig und das ist das Mindeste, was wir tun können.
Danke.
Ajla Kurtovic

Trauerrede des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier
(Es gilt das gesprochene Wort)
Jedes Wort – zu viel und doch zu wenig. Wer könnte den trösten, dem das Liebste genommen ist.
Wir gedenken heute unserer ermordeten Mitbürgerinnen und Mitbürger Ferhat Unvar, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Păun, Said Nesar Hashemi, Fatih Saraçoğlu sowie der Mutter des Attentäters, Gabriele Rathjen, die ebenfalls zu den Opfern zählt.
Zehn Menschen, zehn Lebensgeschichten, zehn Lebensträume gezielt und brutal ausgelöscht. Der mörderische Terror traf sie in einer Shisha-Bar. An einem Ort, wo sie sich sicher fühlten, sich nicht erklären mussten. Sie kehren nicht zurück.
Um sie trauern Partner, Eltern, Kinder, Geschwister, Onkel, Tanten und Cousinen, Freundinnen, Freunde und Kollegen. Mit ihnen trauern die Hanauerinnen und Hanauer und Menschen in ganz Deutschland. Wir alle sind erschüttert über ein terroristisches Verbrechen, einen brutalen Akt mörderischer Gewalt. In unsere Trauer mischen sich Bitterkeit und Zorn.
Erneut stehe ich vor Ihnen. Als Mitbürger, um Ihren Schmerz zu teilen. Und als Bundespräsident mit der klaren Botschaft: Jeder Mensch, der in unserem gemeinsamen Land lebt, muss in Sicherheit und Frieden leben können. Unser Staat hat die Pflicht, dieses Recht zu schützen. Dafür muss er mehr tun. Dafür muss er alles tun. Diese Verantwortung tragen zuallererst die Institutionen unseres Landes, diese Verantwortung tragen die Frauen und Männer an der Spitze. Und diese Verantwortung tragen wir alle. Wir sind gefordert, zusammenzustehen gegen Hass und Hetze, gegen Terror und Gewalt. Daran werden wir gemessen.
Denn dieses Verbrechen geschah nicht zufällig. Diese Tat hat eine Vorgeschichte. Eine Vorgeschichte der Ausgrenzung und Diskriminierung von Menschen mit Migrationsgeschichte, von Muslimen, von angeblich Fremden. Eine Vorgeschichte geistiger Brandstiftung und Stimmungsmache. Eine Vorgeschichte des Hasses, der sich in den sogenannten sozialen Medien, aber längst nicht nur da, schonungslos über seine Opfer ergießt. Es ist dieses Klima, in dem die Hetzer immer schamloser werden, immer offener agieren, sich nicht mehr verstecken. Es ist dieses Klima, in dem Terroristen zur Waffe greifen, sich gerechtfertigt fühlen zu morden. "Dieser Angriff war ein Angriff auf uns alle." So versuchen wir nach schrecklichen Ereignissen wie denen in Hanau regelmäßig, unsere Solidarität mit den Opfern auszudrücken.
In den letzten Tagen haben einige von Ihnen, den Betroffenen, den Angehörigen, den Mitgemeinten, lautstark widersprochen: Nein, dieser Angriff galt nicht uns allen. Er galt denen, die dunkle Haare haben, die einen ausländischen Namen tragen, die eine andere Religion haben, in deren Familie es Migration aus dem Süden gab, und sei das schon viele Generationen her.
Als Mann mit weißen Haaren und weißer Haut, dessen Mutter aus Breslau nach Westdeutschland kam, muss ich meine Zugehörigkeit zu unserem Land nicht begründen. Ich erlebe nicht, wie mich im Vorbeigehen abschätzige Blicke treffen, wie verletzende Bemerkungen fallen, herabsetzende Witze gerissen werden, wie Vorstellungsgespräche, Wohnungssuche und Behördengänge zum Spießrutenlauf werden.
Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, im Alltag ausgegrenzt zu werden – lange bevor es zu Gewalt kommt. Wie entmutigend es ist, ein Leben lang darum zu kämpfen, endlich ganz dazuzugehören. Wie zermürbend, immer und immer wieder – mal bewusst, mal nicht – als Fremder behandelt zu werden.
Und ich darf frei von der Sorge leben, dass meiner Frau, meiner Tochter, meiner Familie Gewalt angetan wird, nur weil sie anders aussehen oder anders glauben.
Auch wer diese Erfahrung nicht teilen kann, muss dennoch um sie wissen. Ja, es gibt Rassismus in unserem Land – und das nicht erst seit einigen Wochen. Ja, es gibt weit verbreitete Muslimfeindlichkeit. Menschen mit dunklerer Hautfarbe oder mit Kopftuch erleben Diskriminierungen, werden Opfer von Angriffen, von Beleidigungen und von Gewalt. Sie alle haben ein Recht darauf, dass ihre Mitbürger Anteil nehmen, lernen, unterstützen, widersprechen, eingreifen. Sie alle haben ein Recht darauf, dass ihr Staat, wo schützende Gesetze durch menschenfeindliche Handlungen gebrochen werden, hinsieht, verfolgt, bestraft. Sie alle haben das Recht auf einen Staat, der sie schützt.
Der Anschlag galt den angeblich Fremden. Getroffen hat er Menschen. Ganz unterschiedliche Menschen. Männer und Frauen. Musikfans und Sportliebhaber. Menschen, die hier lebten, lachten, weinten, Pläne für die Zukunft schmiedeten. Die hier aufgewachsen sind, Kinder bekommen haben, gearbeitet, studiert, gefaulenzt haben. Die auf dem Bau gebuckelt oder Gedichte geschrieben haben. Die katholisch, orthodox, muslimisch, evangelisch waren – der eine praktizierend, der andere auf dem Papier. Die sich über die Politik geärgert, gefreut, die Köpfe heißgeredet haben, die gewählt haben und sich einmischten oder auch nicht. Die der Stolz ihrer Eltern waren, Stützen ihrer Familien und Freunde.
Ferhat war Firmengründer und mochte Rapmusik. Mercedes war eine offene, lebensfrohe Frau und Mutter von zwei Kindern. Sedat besaß eine Bar und konnte keiner Fliege etwas zuleide tun. Gökhan war Maurer und arbeitete als Kellner, er stand kurz vor der Verlobung. Hamza hatte nach erfolgreicher Ausbildung gerade seinen ersten Job angetreten. Said Nesar war Hanauer – und immer für die Menschen da, die seine Hilfe brauchten. Kaloyan unterstützte seine Familie, wo er nur konnte, und war Vater eines kleinen Sohnes. Viorel war Kurierfahrer und viel auf Achse, er war das einzige Kind seiner Eltern. Fatih wollte sich in Hanau selbstständig machen, er war Regensburger. Sie waren unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger.
Sie waren so viel mehr als das, was der Attentäter in ihnen sah.
Für einige der Opfer mag ihre Herkunft bedeutsam gewesen sein, für andere weniger. Längst ist die Realität in unserem Land vielfältiger geworden. Aus der Spannung von Dagewesenem und Hinzugekommenem, aus Austausch und Nebeneinander hat sich etwas ganz eigenes Neues entwickelt, das gemeinsam zu uns gehört. Gehen wir deshalb nicht denen auf den Leim, die uns zu spalten versuchen mit dem simplen Schema von "wir" gegen "die".
Denn das ist die Logik des Terrors. Das ist die Logik des Hasses. Menschen in Gruppen zu zwingen. Sie zu reduzieren auf ihre Herkunft, ihre Religion oder ihre Hautfarbe. Ihnen ihre Einzigartigkeit zu nehmen. Eine Einzigartigkeit, die jeden Menschen ausmacht. Das meint Artikel 1 unseres Grundgesetzes. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das meinen wir doch, wenn wir sagen: Dieser Anschlag ist ein Anschlag auf uns alle. Wir alle sind getroffen, wir alle verletzt – wir alle in der Pflicht.
Es ist ein Anschlag auf unser Grundverständnis vom Zusammenleben. Jeder Mensch hat die gleiche Würde, die gleichen Rechte. Es gibt keine Bürger zweiter Klasse, keine Abstufungen im Deutschsein.
Es ist ein Anschlag auf unsere Freiheit. Jeder Mensch bestimmt selbst, wer er ist. Was ihn ausmacht. Zu wem er gehört. Wie er sich verändert.
Es ist ein Anschlag auf den gesellschaftlichen Frieden. Wer den Einzelnen nur noch als Teil einer Gruppe sieht, befördert die Spaltung zwischen "uns" und "denen". Aus Mitbürgern werden erst Fremde und dann Feinde gemacht. Austausch und Verständigung ist nicht mehr möglich. Hass und Hetze vergiften Debatten und Begegnungen. Am Ende steht die Gewalt.
Das ist gemeint, wenn wir sagen: Diese Anschläge treffen uns alle – und wir alle müssen ihnen entgegentreten. Die ganz große Mehrheit der Menschen in Deutschland ist gegen Ausgrenzung und Ressentiments, gegen Hass und Gewalt. Aber es reicht nicht, zu wissen, dass man in der Mehrheit ist. Das Schweigen der Vielen darf nicht zur Ermutigung weniger werden. Nein, die Mehrheit muss sich zeigen, immer wieder, im Verein, am Stammtisch, im Fußballstadion.
Unsere Grundwerte, unsere Freiheit, unser Frieden – sie sind ohne uns nicht gesichert. Demokratie lebt nicht, weil das Grundgesetz sie verordnet. Sie lebt und bleibt, wenn wir sie wollen und uns in ihr engagieren – gegen die, die sie in Frage stellen oder bekämpfen. Wir müssen sie aktiv verteidigen. Wir. Der Staat. Ich.
Zehn Menschen sind gestorben. Sie haben eine Lücke gerissen, die bleiben wird. In unsere Trauer und unsere Wut mischt sich Entschlossenheit: Wir stehen zusammen. Wir halten zusammen. Denn wir wollen zusammen leben. Und deshalb hören wir zu. Sehen den Einzelnen. Halten Unterschiede aus. Denn wir alle gehören zu diesem Land. Auch Ferhat Unvar, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Păun, Said Nesar Hashemi und Fatih Saraçoğlu gehörten zu uns – jeder auf seine eigene Weise. Als Teil von uns bewahren wir sie in unserer Erinnerung.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

Trauerrede von Saida Hashemi
(Es gilt das gesprochene Wort)
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde, Familie und Trauernde,
zunächst einmal möchte ich mich bei der Stadt Hanau und ihren wundervollen Mitbürgerinnen und Mitbürgern bedanken, die uns Opferfamilien in den letzten Tagen tatkräftig zur Seite gestanden und uns das Gefühl gegeben haben, nicht alleine zu sein. Sie haben Zusammenhalt gezeigt. Die
Hanauer Bürgerinnen und Bürger haben Stärke bewiesen und demonstriert, dass es in unserer Stadt keinen Platz für Hass und Rassismus gibt! Wir danken euch vielmals. Am 19.02.2020 schien die Welt in Hanau still zu stehen. Mein Bruder Said Nesar Hashemi sowie acht weitere junge Menschen wurden Opfer eines Mannes, der ihre Leben und ihre Liebe zu Hanau nicht respektiert hat.
Aber Hanau hat an diesem Tag nicht nur Menschen verloren, die ihre Stadt sehr geliebt haben. Sie waren ein Teil dieser Stadt. Mein Bruder Said Nesar wurde in Hanau geboren, er ist hier aufgewachsen, zur Schule gegangen, hatte hier Familie und Freunde und war im Moment dabei seine Weiterbildung zum staatlich geprüften Techniker abzuschließen. Den anderen Opfern ging es ähnlich. Viele haben in Hanau ihre Heimat gesehen, haben hier gearbeitet und hatten hier Familie und Freunde. Die Opfer waren keine Fremden!
In der Tatnacht wurden alle am Tatort anwesenden Angehörigen von Kesselstadt in die Polizeihalle nach Lamboy gefahren. Wir haben mehrere Stunden gewartet bis wir Gewissheit hatten, wo unsere vermissten Brüder, Schwestern, unsere vermissten Kinder waren. Gegen 6 Uhr morgens bestätigten sich unsere schlimmsten Befürchtungen. Jeder Anwesende hatte mindestens ein Todesopfer zu beklagen. In dem Moment, als die Namen der Opfer vorgelesen wurden, hörte ich das Schreien trauernder Eltern, ich sah die Tränen trauender Freunde - und für mich hat es sich angehört als würden nicht nur die Menschen in der Halle weinen. Nein, in diesem Moment hat ganz Hanau geweint.
Trotz allem war die tiefe Trauer nicht das einzige Gefühl, dass uns begleitete. Es waren auch Wut und Enttäuschung. Enttäuschung darüber, dass die Medien und Nachrichtenportale unsere Trauer durch Falschmeldungen und Gerüchte störten. Dazu gehört die Behauptung mein Bruder Said Nesar sei ein afghanischer Bürger gewesen. Er war schon immer ein deutscher Bürger, um genauer zu sein, ein Hanauer. Ich habe erst vor kurzem von unserem Bruder erfahren, dass er sich am Tag der schrecklichen Tat ein Tattoo mit den Ziffern 63454 auf den Oberarm stechen lassen hat. Die PLZ von Hanau-Kesselstadt. Damit wollte er seiner Verbundenheit für seine Heimatstadt Ausdruck verleihen. Und das war nur eine seiner Liebeserklärungen an unsere, an seine Stadt Hanau. Denn das ist es, was er getan hat. Er hat die Stadt, in der er geboren wurde und die Menschen, mit denen er aufgewachsen ist sehr geliebt. Er war stolz ein Hanauer zu sein.
Die vorhin angesprochenen Falschmeldung betrafen jedoch nicht nur seine Herkunft. Selbst der Name meines verstorbenen Bruders wurde oft falsch angegeben. Said Nesar Hashemi - das war sein Name. Wie oft habe ich den Namen Said Nesar El Hashemi gelesen. Wie oft habe ich falsche
Biographien der Opfer zu Gesicht bekommen? Es ist einfach nur respektlos gegenüber den trauernden Opferfamilien Falschmeldungen zu verbreiten. Und auch gegenüber den Menschen, die sich Informationen verschaffen wollen, ist es unfair und anstandslos. An dieser Stelle möchte ich an die Menschen appellieren Informationen nicht einfach hinzunehmen, sondern diese immer kritisch zu betrachten und zu hinterfragen! Glaubt nicht alles, was euch vorgesetzt wird. Und auch, wenn wir heute die Opfer dieser grausamen Tat in den Mittelpunkt stellen wollen, stellt sich mir die Frage, wie es sein kann, dass ein Mensch so viel Hass in sich trägt. Hass, der letztendlich dafür gesorgt hat unschuldigen Menschen das Leben zu nehmen? Was motiviert diese Menschen zu solchen Taten? Wie lange sollen wir diesen Hass tolerieren? Rassisten soll keine Plattform geboten werden. Alle Menschen sind gleich und haben es verdient in einem Land ohne Angst zu leben. Wir möchten nicht in unserer Heimat in Angst leben. Es wird Generationen geben, die nach uns kommen, die nach meinem Bruder kommen und den selben Weg einschlagen werden wie er. Auch sie werden hier zur Schule gehen und auch sie werden hier ihre Ausbildung machen und arbeiten gehen. Und diese Menschen haben es nicht verdient in Angst zu leben.
Diese Tat ändert nichts daran, wer wir sind und woran wir glauben. Das ist nicht der erste Anschlag hier in Deutschland, aber wir hoffen und beten dafür, dass das der letzte war. An dieser Stelle geht mein Mitgefühl an alle Opferfamilien dieser schrecklichen Tat und auch an alle Opferfamilien vergangener Anschlägen. Wir sind nicht alleine, wir sind stark und halten zusammen!
Mein Hoffnungsschimmer während dieser schweren Zeit sitzt in der ersten Reihe und ist mein Bruder Said Etris Hashemi. Er hat die schreckliche Tat am 19.02. schwer verletzt überlebt und ist auf gutem Wege wieder vollständig gesund zu werden.
Ich danke Ihnen für ihre Aufmerksamkeit!
Saida Hashemi

